Probleme bei der Beweiserfassung von P2P-Delikten

Wanted for Copyright infringment: PrinterEs dürf­te der Alp­traum aller In­ha­ber eines In­ter­net-An­schlus­ses sein: Die Po­li­zei steht mit einem Haus­durch­su­chungs­be­fehl vor der Tür und be­schlag­nahmt sämt­li­che Com­pu­ter und Da­ten­trä­ger. Der Vor­wurf: Il­le­ga­les File­sha­ring von Musik, Fil­men oder schlim­me­rem (wie Kin­der­por­nos). Die GVU be­rich­tet von immer grö­ße­ren Er­fol­gen im "Kampf gegen Raub­ko­pie­rer", doch gibt es auch immer mehr Fälle, bei wel­chen sich Zwei­fel an den an­ge­wand­ten Ver­fah­ren auf­tun.
Die Si­che­rung von Be­weis­ma­te­ri­al er­folgt ty­pi­scher­wei­se durch einen "Pro­be­down­load" - vom (ver­meint­li­chen) An­bie­ter eines il­le­ga­len Down­load-An­ge­bots wird eine Probe her­un­ter­ge­la­den; diese wird ge­sich­tet, und soll­te es sich hier­bei die Ver­mu­tung er­här­ten, so wird Zeit­punkt und IP-Adres­se der Quel­le no­tiert. Frü­her mußte nun An­zei­ge gegen Un­be­kannt ge­stellt wer­den, wor­auf­hin die Er­mitt­lungs­be­hör­den beim Pro­vi­der die zu­ge­hö­ri­gen Kun­den­da­ten er­frag­ten; durch Ak­ten­ein­sicht in die Un­ter­su­chun­gen er­fuh­ren auch die Rech­te­inha­ber diese In­for­ma­ti­on und konn­ten so eine Ab­mah­nung oder eine zi­vil­recht­li­che Klage an­sto­ßen. Seit der letz­ten Über­ar­bei­tung des Ur­he­ber­rechts ist der Zwi­schen­schritt über eine Straf­an­zei­ge nicht mehr nötig; nun ist le­dig­lich das Ok eines Rich­ters nötig, um vom Pro­vi­der die Zu­ord­nung von IP-Adres­se zu Kun­den­da­ten zu er­hal­ten.
Doch häu­fen sich An­zei­chen, daß bei die­sem Pro­ce­de­re immer wie­der ge­schlampt wird; so be­ob­ach­te­te eine For­scher­grup­pe die Ak­ti­vi­tät di­ver­ser Bit­tor­rent-Sites mit einer ei­gens dafür ge­schrie­be­nen Soft­ware (wel­che weder Up- noch Down­load im­ple­men­tiert hatte) - und kas­sier­te dafür über 200 Ur­he­ber­rechts­be­schwer­den.

Hier wurde of­fen­sicht­lich nur die Liste der IP-Adres­sen des Bit­tor­rent-Tra­ckers ab­ge­fragt, der (ei­gent­lich nö­ti­ge) Pro­be-Down­load wurde nicht ge­tä­tigt. Durch solch schlam­pi­ges Vor­ge­hen kön­nen auch voll­kom­men un­be­schol­te­ne In­ter­net-Nut­zer ins Vi­sier der Er­mitt­ler ge­ra­ten: Man­che Tor­rent­tra­cker wie bei­spiels­wei­se Open­Tra­cker streu­en in die aus­ge­lie­fer­te Liste von Sha­res voll­kom­men zu­fäl­li­ge IP-Adres­sen mit ein.

Auch bei der wei­te­ren Ver­ar­bei­tung der Daten kommt es immer wie­der zu Pan­nen: Durch einen Zah­len­dre­her in der IP-Adres­se er­hielt bei­spiels­wei­se ein un­be­schol­te­ner Sur­fer eine Ab­mah­nung von der Mu­sik­in­dus­trie; be­son­ders pi­kant beim er­wähn­ten Fall: Bei der ne­ga­ti­ven Fest­stel­lungs­kla­ge des Be­trof­fe­nen woll­te die Con­tent­ma­fia ihre ei­ge­ne Schät­zung der Scha­dens­hö­he nicht ak­zep­tie­ren (mit solch ex­or­bi­tan­ten For­de­run­gen sol­len die Be­klag­ten ein­ge­schüch­tert und von ir­gend­wel­chem Wi­der­stand ab­ge­schreckt wer­den). In einem an­de­ren Fall ge­riet ein Pro­fes­sor in den Ver­dacht, Kin­der­por­nos ver­teilt zu haben; nach mehr­fa­chem Durch­ge­hen der Er­mitt­lungs­un­ter­la­gen fiel dem ein­ge­schal­te­ten An­walt auf, daß der Pro­vi­der of­fen­sicht­lich beim Duch­se­hen der Log­da­tei­en "in der Zeile ver­rutscht" war. Die Klage wurde zu­rück­ge­zo­gen, aber der Ver­trau­ens­scha­den bei Fa­mi­lie und Nach­bar­schaft ist kaum gut­zu­ma­chen.

Zu guter Letzt bleibt noch fest­zu­stel­len, daß das oben be­schrie­be­ne Ver­fah­ren nicht von allen Ge­rich­ten als ad­äquat be­trach­tet wird. Mitte letz­ten Jah­res wies ein Rich­ter die an­ge­streb­te Klage ab: Dem Klä­ger ginge es ja le­dig­lich um die Ak­ten­ein­sicht, nicht um die Straf­an­zei­ge an sich. Und da der Klä­ger nur eine ein­zel­ne(!) MP3-Da­tei als Be­weis vor­le­gen konn­te (ge­klagt wurde selbst­ver­ständ­lich wegen meh­re­ren hun­dert Da­tei­en), läge eine "of­fen­sicht­li­che Un­ver­hält­nis­mä­ßig­keit" vor, wel­che die Jus­tiz über Ge­bühr be­las­ten würde.
Auch vor kur­zem erst wei­ger­te sich ein Rich­ter, die fest­ge­stell­ten Kun­den­da­ten als Be­weis­mit­tel zu­zu­las­sen; nach der einst­wei­li­gen An­ord­nung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts gegen die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung dürf­ten diese Daten nur für "be­son­ders schwe­re Straf­ta­ten" ge­nutzt wer­den, und um eine sol­che würde es sich im vor­lie­gen­den Fall nicht han­deln.
Die Do­ku­men­ta­ti­on der ver­such­ten Down­loads mit Hilfe von Screen­shots wird vor Ge­richt nicht immer ak­zep­tiert; um die Sinn­lo­sig­keit die­ser Art der Do­ku­men­ta­ti­on zu zei­gen, haben Ak­ti­vis­ten einen Screen­shot-Ge­ne­ra­tor für fik­ti­ve Di­rect­Con­nect-Ses­si­ons ins Netz ge­stellt. Daß die ame­ri­ka­ni­sche Mu­sik­in­dus­trie in einem ak­tu­el­len Ver­fah­ren die Be­weis­füh­rung als "oft sehr schwer, und in ei­ni­gen Fäl­len un­mög­lich zu füh­ren" be­zeich­net, klingt schon fast nach Selbst­iro­nie.

Es gibt also noch viele Haken und Ösen bei der Ahn­dung von Ur­he­ber­rechts­ver­let­zun­gen und an­de­ren Straf­ta­ten im Netz. Er­schre­ckend finde ich die Gut­gläu­big­keit vie­ler Ge­rich­te. Selbst wenn man von Skan­dal­fäl­len wie der GVU, wel­che vor­über­ge­hend aktiv il­le­ga­les Ma­te­ri­al als Lock­vol­ge­l­an­ge­bot be­reit­stell­te (und das of­fen­bar ohne Er­laub­nis der Film­la­bels!): Die tech­ni­schen Hin­ter­grün­de schei­nen oft nur un­zu­rei­chend be­leuch­tet zu wer­den, und die Be­weis­ket­te ist mit­un­ter schlam­pig do­ku­men­tiert und un­sau­ber durch­ge­führt. Man darf ge­spannt sein, wie sich die­ses Pro­blem­feld wei­ter­ent­wi­ckelt.

(Bild: torrentfreak.​com, Crea­ti­ve-Com­mons cc-by-sa-Li­zenz)