Google Street View: Masse eine eigene Klasse?

Der Dienst "Goog­le Street View" sorgt rings­her­um für große Auf­re­gung: Häu­fig war zu lesen, daß ein­zel­ne Städ­te und Ge­mein­den Googles Ak­ti­vi­tät kom­plett ver­bie­ten wol­len, an­de­re ver­such­ten, es dem Such­ma­schi­nen­gi­gan­ten mit Hilfe von Kon­struk­ten wie einer Stra­ßen­nut­zungs­ge­bühr so un­at­trak­tiv wie mög­lich zu ma­chen. Netz­ak­ti­vis­ten pro­tes­tier­ten, indem sie an einem Goog­le-Au­to einen GPS-Tra­cker an­brach­ten und das Auto (oh, Iro­nie) über ein Goog­le Maps Mas­h­up im Netz ver­folg­bar mach­ten (Edit: War wohl ein Fake, siehe die­ser Kom­men­tar).

Viele Stim­men waren zu hören, daß Googles Ak­ti­vi­tä­ten il­le­gal seien und gegen das Da­ten­schutz- und das Per­sön­lich­keits­recht ver­stö­ßen. Noch­mals lau­ter wurde der Auf­schrei, als be­kannt wurde, daß Goog­le auch WLAN-Da­ten sam­melt. Was ich sehr span­nend finde: Es wird zwar ge­wal­tig über die Ver­let­zung der Pri­vat­sphä­re ge­wet­tert - bei­zu­kom­men ver­sucht man Goog­le aber nur mit ad­vo­ka­ti­schen Win­kel­zü­gen.

Ju­ris­ti­sche Ar­gu­men­te gegen Street View

Ir­gend­wie scheint es kein "An­ti-Goog­le-Ge­setz" zu geben: Ab­ge­se­hen von eher ab­stru­sen Kon­struk­ten wie der Stra­ßen­nut­zungs­ge­bühr gibt es fol­gen­de Ar­gu­men­ta­ti­ons­li­ni­en:

Die au­to­ma­ti­sche Ver­pi­xelung ist nicht zu­ver­läs­sig genug bzw. Per­so­nen sind an­schlie­ßend noch immer er­kenn­bar. Das Ar­gu­ment geht zu­rück auf das Recht am ei­ge­nen Bild: Dem­nach darf (ver­ein­facht ge­spro­chen) keine Per­son ohne deren Ein­ver­ständ­nis fo­to­gra­fiert wer­den. Doch es gibt Aus­nah­men: Ins­be­son­de­re, wenn die Per­son nur "Bei­werk" ist, also der Kern­in­halt des Bil­des ein ganz an­de­rer ist, be­steht hier kein An­spruch. Ein Bei­spiel hier­für ist das Fo­to­gra­fie­ren einer Kir­che auf einem be­leb­ten Platz - das Bild stellt klar die Kir­che in den Vor­der­grund, die Pas­san­ten gel­ten als Bei­werk. So dürf­te wohl Goog­le (ver­mut­lich er­folg­reich) ar­gu­men­tie­ren: Bei Street View geht es ganz klar um die An­sich­ten der Stra­ßen­zü­ge; Pas­san­ten sind rein zu­fäl­lig mit auf den Bil­dern und sind somit als Bei­werk zu be­trach­ten. Da die Fotos au­to­ma­tisch er­stellt wer­den, wer­den sie auch nicht be­wu­ßt in den Bild­vor­der­grund ge­rückt; die au­to­ma­ti­sche Ver­pi­xelung un­ter­stützt dies zu­sätz­lich.

Die Ka­me­ras waren in einer Höhe von 2,5m mon­tiert - das ist zu hoch. In Deutsch­land gilt die so­ge­nann­te "Pan­ora­me­frei­heit" - es dür­fen be­lie­bi­ge Auf­nah­men von öf­fent­li­chem Grund aus ge­macht wer­den. Zum Über­win­den von ir­gend­ei­nem Sicht­schutz dür­fen aber keine Hilfs­mit­tel ver­wen­det wer­den - gibt es also eine hohe Hecke oder einen Zaun, so darf man nicht mit Hilfe einer Lei­ter dar­über­fo­to­gra­fie­ren. Ist die Hecke je­doch so nied­rig, daß man mit der Ka­me­ra ohne wei­te­re Hilfs­mit­tel dar­über­fo­to­gra­fie­ren kann (selbst, wenn man die Ka­me­ra mit aus­ge­streck­ten Armen über dem Kopf hält), so ist das von der Pan­ora­ma­f­rei­heit ge­deckt. Eine Höhe von 2,50m wer­den trotz­dem die we­nigs­ten Bür­ger er­rei­chen. Goog­le wird je­doch ar­gu­men­tie­ren, daß bei­spiels­wei­se Fotos aus Rei­se­bus­sen her­aus durch­aus auch aus die­ser Höhe ge­macht wer­den (ich bin si­cher, da fin­det sich in den Ge­richts­un­ter­la­gen ir­gend­ein Prä­ze­denz­fall dafür). Au­ßer­dem hat eine zu ver­nach­läs­si­gen­de An­zahl von Ge­bäu­den einen Sicht­schutz, der von den Goog­le Street Cars "ge­ra­de noch über­se­hen" wer­den konn­te - ent­we­der ist der Sicht­schutz dann in jedem Fall hoch genug, oder aber die Häu­ser be­sit­zen über­haupt kei­nen Sicht­schutz (womit die Auf­nah­me ja wie­der ok wäre). Meine Ver­mu­tung als ju­ris­ti­scher Laie: Mit die­ser Ar­gu­men­ta­ti­on hät­ten Klä­ger trotz­dem am ehes­ten Er­folg.

Die In­for­ma­tio­nen der WLAN-Ac­ces­s­points stel­len per­so­nen­be­zo­ge­ne Daten dar. Ich fürch­te, hier ist die Luft für die Klä­ger reich­lich dünn; eine MAC-Adres­se ist ge­nau­so per­so­nen­un­be­zo­gen wie eine Stra­ßen­an­schrift: Es ver­ber­gen sich eine un­be­kann­te An­zahl von (mög­li­cher­wei­se wech­seln­den) In­ter­net-Nut­zern da­hin­ter. Und wer in der SSID sei­nen Fa­mi­li­en­na­men an­gibt, der macht das vir­tu­el­le Pen­dant zu einem Trans­pa­rent mit dem Fa­mi­li­en­na­men über der Ein­gangs­tür.

Der Kern des Pro­blems

Wo steckt nun das Pro­blem? Es gibt seit Jahr­zehn­ten Fir­men, die Stra­ßen­zü­ge fo­to­gra­fie­ren und diese Fo­to­map­pen (samt einer Ein­schät­zung über die so­zia­len Um­stän­de des Stra­ßen­zu­ges) an Ver­si­che­run­gen u.ä. ver­kau­fen. Und auch die Po­si­ti­on von Ac­cess Points wer­den schon seit Jah­ren von Fir­men wie z.B. Skyhook Wire­less ge­sam­melt und ver­mark­tet. Goog­le rück­te das alles nur ins Licht des öf­fent­li­chen In­ter­es­ses, da der Dienst für je­der­mann zu­gäng­lich ist.

Ein­mal mehr wird deut­lich, daß die Quan­ti­tät, also die Menge und die Sys­te­ma­tik der Er­fas­sung doch einen gro­ßen qua­li­ta­ti­ven Un­ter­schied macht. Pan­ora­ma­f­rei­heit und Bei­werk wur­den si­cher sei­ner­zeit mit dem ein­zel­nen Bild eines (da­mals noch auf ana­lo­gem Film ar­bei­ten­den) Fo­to­gra­fen im Hin­ter­kopf ver­ab­schie­det. Die Chan­ce, daß je­mand als Bei­werk so im Ram­pen­licht der Öf­fent­lich­keit lan­de­te, war na­he­zu null; und da jede La­ger­stät­te für Fotos ir­gend­wo ihre Gren­zen hat, ver­schwan­den Bil­der frü­her oder spä­ter aus der Welt­ge­schich­te.

Nun aber wer­den di­gi­ta­le Bil­der ge­macht. Spei­cher ist bil­lig, so daß sich na­he­zu be­lie­bi­ge Men­gen kon­ser­vie­ren las­sen, und so­fern keine Feh­ler bei der Ar­chi­vie­rung und Kon­ver­tie­rung auf zu­künf­ti­ge Da­tei­for­ma­te ge­macht wer­den, blei­ben diese min­des­tens über Jahr­zehn­te ver­füg­bar. Und zu Zei­ten, als Film­ma­te­ri­al noch ver­gleichs­wei­se teuer war und jeder Druck auf den Aus­lö­ser ech­tes Geld kos­te­te, wäre wohl nie­mand auf die Idee ge­kom­men, sämt­li­che Häu­ser­fas­sa­den zu fo­to­gra­fie­ren und kos­ten­frei der All­ge­mein­heit zur An­sicht zur Ver­fü­gung zu stel­len - mit di­gi­ta­len Auf­nah­men ist das hin­ge­gen kein ernst­haf­tes Pro­blem mehr.

Eine wei­te­re Stei­ge­rung stellt mei­ner Mei­nung nach Mi­cro­softs Streets­ide Foto View dar, wo Bil­der von Flickr (mit Geo­in­for­ma­ti­on) au­to­ma­tisch in die Stra­ßen­an­sicht mit ein­ge­bet­tet wer­den. Auch vir­tu­el­le Spa­zier­gän­ge ab­seits der Stra­ße und in Ge­bäu­de hin­ein sol­len so durch über­lap­pen­de Fotos mög­lich sein.

Die Masse macht's

Waren ein­zel­ne Fotos bis dato "harm­los", so er­gibt die un­glaub­li­che Masse (ent­we­der von den Street View Cars aus er­stellt oder zu­sam­men­ge­fügt aus den rie­si­gen Samm­lun­gen der Fo­to­com­mu­nities wie flickr), ge­paart mit den tech­ni­schen Neue­run­gen der letz­ten Jahre eine ganz neue Qua­li­tät. Diese neuen Mög­lich­kei­ten - und die damit ver­bun­de­nen Im­pli­ka­tio­nen und Ge­fah­ren - sind in un­se­ren bis­he­ri­gen Ge­set­zen nicht be­rück­sich­tigt.

Sta­tis­tik und Sto­chas­tik waren be­reits in der Ver­gan­gen­heit gute Bei­spie­le, wie man aus vor­han­de­nen Da­ten­damm­lun­gen neue In­for­ma­tio­nen und Fak­ten ge­winnt. Auch um Bür­ger hier­vor zu schüt­zen ent­stan­den Da­ten­schutz­ge­set­ze, die bei­spiels­wei­se das Zu­sam­men­füh­ren von Da­ten­samm­lun­gen re­gle­men­tier­ten. Ent­spre­chen­de ju­ris­ti­sche Über­le­gun­gen in Bezug auf Geo­da­ten und Bild­ma­te­ri­al gibt es bis dato hin­ge­gen noch nicht.

Ei­gent­lich woll­te der Dienst noch 2009 star­ten, die Da­ten­er­he­bung dau­ert aber of­fen­bar län­ger als ge­plant, je­doch sind laut den Street View FAQ sind ei­ni­ge Ge­gen­den noch nicht er­fa­ßt. Der Start­ter­min ist auch auf­grund des öf­fent­li­chen Drucks nun so lange ver­zö­gert, bis alle Ein­sprü­che von Bür­gern be­ar­bei­tet und das be­trof­fe­ne Ma­te­ri­al ge­löscht bzw. un­kennt­lich ge­macht wurde - letz­te­re Mög­lich­keit ist auch ein Ent­ge­gen­kom­men von Goog­le, denn ein star­res Be­har­ren auf der ju­ris­ti­schen Po­si­ti­on hätte mög­li­cher­wei­se den Be­schluß von einem rich­ti­gen "An­ti-Goog­le-Ge­setz" pro­vo­ziert.