If everyone had glass…

Google Glass: Ängste und Befürchtungen im Abgleich mit ersten Erfahrungsberichten

In case of revolution: Wear Glass

Goog­le Glass hat wie kaum eine Pro­duktan­kün­di­gung für Auf­re­gung und Eu­pho­rie (zu­min­dest in der tech­ni­kaf­fi­nen Szene) ge­sorgt. So ziem­lich jeder, der das Wer­be­vi­deo ge­se­hen hatte, war be­geis­tert – und In­gress-Spie­ler und Leute, die beim Lesen von Da­ni­el Sua­rez' Da­e­mon/Free­dom-Zwei­tei­ler von der Darknet-Kul­tur ge­träumt haben, waren so­wie­so hin und weg.

Na­he­lie­gend, daß es aber auch kri­ti­sche Stim­men gab. Nach­dem sich die erste Eu­pho­rie ge­legt hatte, gab es Fra­gen nach dem Ein­fluß auf die Ge­sell­schaft und der Be­ein­träch­ti­gung der Pri­vat­sphä­re.

Nun hat die Test­pha­se von Goog­le Glass be­gon­nen und es gibt die ers­ten tat­säch­li­chen Ein­drü­cke. Goog­le Glass für alle wird üb­ri­gens noch etwas auf sich waren las­sen, der Re­lease-Ter­min wurde ins Jahr 2014 ver­scho­ben.

Erste Ein­drü­cke

Der Erstein­druck bei Tech­no­lo­gy Re­view zeigt, daß beim Bauen des Ge­räts tech­ni­sche Kom­pro­mis­se ge­macht wer­den mu­ß­ten. Ins­be­son­de­re der in­te­grier­te Akku setzt Gren­zen – so be­rich­tet der Ar­ti­kel, daß nach 6 Mi­nu­ten Vi­deo­auf­zeich­nung die Ka­pa­zi­tät um 20% ge­sun­ken war, was stän­di­gen Fil­men einen Rie­gel vor­schiebt.

Auch Tim O'Reil­ly äu­ßert sich in einem Post auf Goog­le+, daß Goog­le Glass die Pri­vat­sphä­re we­ni­ger be­ein­träch­tigt, als zu­nächst be­fürch­tet wor­den sei. Ge­hei­mes „Spi­cken“ auf dem Mo­ni­tor ist nicht mög­lich, die Au­gen­be­we­gun­gen ver­ra­ten deut­lich, ob man ge­ra­de sein Ge­gen­über an­sieht oder einen Blick auf die von Glass an­ge­zeig­ten Daten wirft. Die leuch­ten­de An­zei­ge des Glass-Dis­plays ist auch von der an­de­ren Seite aus deut­lich sicht­bar. Und um ein Foto oder Video zu er­stel­len, so O'Reil­ly, sei ja ein Sprach­kom­man­do oder ein Knopf­druck an der Bril­le nötig.

Goog­le Glass für alle?

Bei der An­kün­di­gung von Glass mach­te sich das Ge­fühl breit, von einer neuen Tech­no­lo­gie über­rum­pelt zu wer­den. Was, wenn in einem Jahr jeder zwei­te auf der Stra­ße Gool­ge Glass trägt? Der Schock­wel­len­rei­ter läßt grü­ßen.

Es wird uns wohl allen mehr Zeit blei­ben, nicht nur wegen der Ver­zö­ge­rung. Nicht jeder wird bei der ers­ten Ge­rä­te­ge­ne­ra­ti­on so­fort zu­grei­fen (es wer­den si­cher nicht alle Li­mi­tie­run­gen der Vor­se­rie voll­ends be­sei­tigt sein), au­ßer­dem ist es un­wahr­schein­lich, daß jeder zwei­te bei einem Ge­rä­te­preis von 500 € oder mehr so­fort zu­greift.

Es bleibt also Zeit für eine mei­ner Mei­nung nach wich­ti­ge Dis­kus­si­on.

Fas­zi­nie­ren­de Mög­lich­kei­ten

Die Mög­lich­kei­ten sol­cher Ge­rä­te sind gro­ßar­tig: Das be­ginnt bei der Un­ter­stüt­zung durch Er­in­ne­rung an Ter­mi­ne, Todos oder (für Leute mit einem schwa­chen Per­so­nen­ge­dächt­nis wie mir) dem An­zei­gen der Kon­tak­t­in­for­ma­tio­nen mei­nes Ge­gen­übers… damit haben wir schon vor über 10 Jah­ren an der Uni ex­pe­ri­men­tiert, da­mals mu­ß­ten wir noch wie die Borg über den Flur wan­deln :-)

Smart Reminder

Für Leute mit einer Seh­schwä­che oder -be­hin­de­rung kann Goog­le Glass ein Er­satz für das na­tür­li­che Au­gen­licht sein, das auf Ge­fah­ren auf­merk­sam macht oder ein­fach nur eine elek­tro­ni­sche Lupe ist oder Texte vor­liest.

Be­züg­lich der Ka­me­ra­funk­ti­on merkt das Blog „Li­ving the fu­ture“ kor­rekt an, daß die stän­di­ge Mög­lich­keit zur Auf­nah­me und Do­ku­men­ta­ti­on auch ein wei­te­rer Schritt in Rich­tung „Kon­trol­lie­rung der Kon­trol­leu­re“ ist. Schon heute wer­den die Teil­neh­mer auf De­mons­tra­tio­nen häu­fig dazu auf­ge­ru­fen, flei­ßig mit ihren Han­dys das Ge­sche­hen zu do­ku­men­tie­ren – nicht nur als Beleg für den Er­folg der Ak­ti­on, son­dern auch zum Fest­hal­ten mög­li­cher po­li­zei­li­cher Über­grif­fe (als Bei­spiel für den Nut­zen mag der Vor­fall auf der Frei­heit-statt-Angst-De­mo 2010 die­nen).

Ei­ni­ge Vor­be­hal­te und Be­fürch­tun­gen blei­ben

Ein­fach nur fest­zu­stel­len, daß man ja schon heute un­auf­fäl­lig mit dem Handy alles fil­men kann oder es in Son­nen­bril­len in­te­grier­te Vi­deo­ka­me­ras gibt, wird der Sache nicht ge­recht. Wer schon ein­mal ver­sucht hat, mit einem Handy un­auf­fäl­lig zu fil­men, weiß, wovon ich spre­che; und es ist eine an­de­re Qua­li­tät, ob ich „ein­fach so“ fil­men kann, wo immer ich möch­te, oder ich dafür extra ein Gerät be­schaf­fen muß.

Den Buch­sta­ben des Ge­set­zes nach be­sitzt in Deutsch­land jeder die Ho­heit über Bil­der und Filme von ihm (im Ge­gen­satz zu den USA, wo alles und jeder in öf­fent­li­chem Raum „Frei­wild“ ist). Ab­ge­se­hen von der Dis­kus­si­on, ob das Recht am Bild bei au­to­ma­ti­sier­ter Ver­ar­bei­tung über­haupt greift, spie­gelt es die Men­ta­li­tät wie­der: Man fühlt sich un­wohl, wenn je­mand an­de­res Kon­trol­le über das ei­ge­ne Ab­bild be­sitzt.

Com­pu­ter sind zu einer Art Er­wei­te­rung des ei­ge­nen Ge­hirns und Ge­dächt­nis­ses ge­wor­den – so wurde sogar in der Be­grün­dung für das „Com­pu­ter-Grund­recht“ ar­gu­men­tiert. Mei­nem Emp­fin­den nach kann man das auf Ge­rä­te wie Goog­le Glass wun­der­bar über­tra­gen: Eine lo­ka­le Ver­ar­bei­tung (bzw. eine Ver­ar­bei­tung unter der voll­stän­di­gen und al­lei­ni­gen Ho­heit des Be­sit­zers) fände ich in Ord­nung, ein Über­tra­gen der Daten an eine drit­te Par­tei wie Goog­le wäre eine Ver­let­zung der ei­ge­nen Rech­te – und die Schwie­rig­keit, als Au­ßen­ste­hen­der bei­des zu un­ter­schei­den, ist Grund für die Be­den­ken.

Tech­nisch mag es quasi das glei­che sein, aber qua­li­ta­tiv ist es ein rie­si­ger Un­ter­schied, ob bei­spiels­wei­se eine Bil­der­ken­nung nur lokal auf den Fotos mei­ner (we­ni­gen hun­dert) Kon­tak­te er­folgt, oder ob die Bil­der­ken­nung auf dem kom­plet­ten Da­ten­be­stand von Mil­li­ar­den von Fotos bei Face­book er­folgt und die Er­geb­nis­se der Ana­ly­se mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit dort eben­falls ge­spei­chert und aus­ge­wer­tet wer­den.

If ever­yo­ne had Glass

Bis dahin sind es noch ein Stück, aber die Saat ist aus­ge­bracht und die Tech­nik wird in der Brei­ten Masse in fünf Jah­ren an­ge­kom­men sein. In die­ser Zeit müs­sen wir uns über­le­gen, wie wir damit um­ge­hen wol­len; daß Glass nicht immer und über­all da­bei­sein soll (und kann), sagte selbst Eric Schmidt: „Es gibt of­fen­sicht­lich Orte, an denen Goog­le Glass un­an­ge­mes­sen ist“.

Auch soll es für die Soft­ware für Goog­le Glass einen stren­ge­ren Re­view-Pro­zess geben. Das ist zwar ein guter Schritt, aber für (über­spitzt ge­sagt) „Er­wei­te­run­gen des ei­ge­nen Ge­hirns“ würde ich zu­sätz­lich mehr ver­lan­gen; für Tech­ni­ker wäre ein offen zu­gäng­li­cher Quell­code eine Op­ti­on. Auch könn­te man damit nur eine Aus­sa­ge über die Pro­gram­me auf dem ei­ge­nen Glass tref­fen, nicht aber, was mein Ge­gen­über tut.

Mir wi­der­strebt der Ge­dan­ke, durch eine Menge von Glass-Trä­gern zu lau­fen und zu wis­sen, daß jeder von ihnen ein Bild von mir zu Goog­le, Face­book oder wem-auch-im­mer hoch­läd, um dort per Ge­sichts­er­ken­nung fest­zu­stel­len, ob ich in der je­wei­li­gen Kon­takt­lis­te stehe. Und ich gru­se­le mich vor dem Tag, wo je­mand eine An­wen­dung wie diese hier auf Glass im­ple­men­tiert und nicht nur den Puls, son­dern an­de­re Mi­kro­ex­pres­sio­nen her­vor­hebt und ana­ly­siert.

Ein ge­ne­rel­les (ge­setz­li­ches) Ver­bot ist ver­mut­lich aber ge­nau­so un­sin­nig wie ein un­kri­ti­sches Ak­zep­tie­ren der Tech­nik.

Die Dis­kus­si­on wird span­nend.


Rund um Ideen, An­wen­dun­gen, Pro­gno­sen und Kri­tik gibt es auf dem Blog „We wear smart­we­ar“ eine Blog­pa­ra­de, zu wel­cher ich mit die­sem Ar­ti­kel bei­tra­gen möch­te.