Watch your Web: Der Bock zum Gärtner

Watch your web LogoWatch your web heißt die ge­ra­de ge­star­te­te Kam­pa­gne des Ver­brau­cher­schutz­mi­nis­te­ri­ums, die Ju­gend­li­che zwi­schen 12 und 18 Jah­ren über die Ge­fah­ren von zu frei­zü­gi­gem Um­gang mit per­sön­li­chen Daten (ins­be­son­de­re in So­ci­al Net­works) auf­klä­ren will.
Prin­zi­pi­ell eine gute und längst über­fäl­li­ge Idee - und Grund genug, einen Blick dar­auf zu wer­fen, was un­se­re lie­ben Po­li­ti­ker der Ju­gend mit­tei­len wol­len... und, um es gleich vor­weg­zu­neh­men - auch hier gilt wie­der ein­mal, daß das Ge­gen­teil von "gut" häu­fig "gut ge­meint" ist.

Vi­deo­clips

Um we­nigs­tens etwas Po­si­ti­ves zu er­wäh­nen: Die Vi­deo­clips finde ich nicht schlecht; ins­be­son­de­re das Video mit den Mas­ken macht pla­ka­tiv deut­lich, wie wenig ein Nick­na­me aus­sagt - und daß ein zu gro­ßer Ver­trau­ens­vor­schuß meist un­an­ge­bracht ist.

Web-Test

In den Fra­gen des "Web-Tests" habe ich mich nicht wie­der­ge­fun­den (mag viel­leicht auch daran lie­gen, daß ich nicht zur Al­ter­s­ziel­grup­pe ge­hö­re ;-). In den Fra­gen fehlt voll­stän­dig die Op­ti­on, daß je­mand in (noch) kei­nem So­ci­al Net­work Mit­glied ist.
Die Sug­ges­tiv-Fra­gen des Tests dürf­ten aber auch bei Ju­gend­li­chen immer ein po­si­ti­ve­res Er­geb­nis lie­fern - und damit das Ge­gen­teil einer Sen­si­bi­li­sie­rung be­wir­ken ("der Test sagte doch, daß ich das schon recht gut mache").

So surfst Du si­cher

"So surfst Du si­cher" heißt die Ru­brik, in der man Tips für den si­che­ren und ver­ant­wor­tungs­vol­len Um­gang mit dem Me­di­um fin­den soll­te. Was man hier vor­fin­det, sind Kurz­an­lei­tun­gen für die Pri­va­cy-Ein­stel­lun­gen di­ver­ser be­kann­ter So­ci­al Net­works (Schü­ler- und Stu­di­VZ, MyS­pace, Lo­ka­lis­ten, etc.).
Was hin­ge­gen voll­kom­men fehlt, sind all­ge­mei­ne Hin­wei­se! Kei­ner­lei Tips zur Wahl von Nick­na­mes (und der Hin­weis, bei ver­schie­de­nen Diens­ten auch ver­schie­de­ne Nick­na­mes zu wäh­len). Kein Hin­weis dar­auf, daß es keine gute Idee ist, das Ge­burts­jahr mit in den Nick­na­me ein­zu­bau­en. Die War­nung, daß das Netz nur sel­ten etwas ver­gi­ßt und daß man vir­tu­el­len Frem­den ge­nau­so­viel (oder wenig) trau­en soll­te wie Frem­den auf der Stra­ße, fin­det man nur als Bot­schaft in den Vi­de­os. News­let­ter? Ver­trau­ens­wür­dig­keit von Spam? Trick-Web­sei­ten, von denen plötz­lich Rech­nun­gen kom­men? Fehl­an­zei­ge.
Sehr schwach.

Web­mans Pinn­wand

Unter der Fra­ge­stel­lung "wann hät­test Du Web­mans Hilfe ge­braucht" kann man auf der Seite Kom­men­ta­re hin­ter­las­sen. Ich habe ein paar Kom­men­ta­re an­ge­le­sen - und dabei diese Scho­te ent­deckt:


Ganz gro­ßes Kino, echte Pro­fis am Werk! Im­mer­hin fin­det man kurz dar­auf den Kom­men­tar, daß das Thema ge­fixt wurde (aus­pro­biert habe ich es nicht).

Fazit

Ich weiß nicht, wie oft ich beim Durch­se­hen der Sei­ten hätte schrei­en kön­nen. Die ge­sam­te Seite ver­mei­det die Grund­satz­fra­ge - muß ich über­haupt in einem So­ci­al Net­work Mit­glied sein? Und wenn ja - reicht dann nicht eines aus? Und: Die An­mel­dung bei den So­ci­al Net­works ist kos­ten­los - ir­gend­wie müs­sen diese Fir­men ihr Geld ver­die­nen... aber wie?

Eine Idee, wieso dies so sein könn­te, be­kommt man bei der Durch­sicht der Part­ner: Neben di­ver­sen Bun­des­stel­len und -or­ga­ni­sa­tio­nen fin­det man dort... Schü­lerVZ, die Lo­ka­lis­ten und Wer-kennt-wen! Das De­sign­ta­ge­buch meint hier­zu:

"Der Um­stand, dass etwa Stu­di­VZ oder Lokalisten.​de bei der Kam­pa­gne mit­mi­schen, darf man als gro­ßen Coup die­ser bei­den be­zeich­nen. Der Bock wird zum Gärt­ner."

Und in der Tat: Mar­ke­ting- und PR-tech­nisch ist das ein gro­ßer Coup... für die Sache an sich darf man das wohl als Tief­schlag ver­bu­chen. Da wird es ver­ständ­lich, daß die ei­gent­li­chen, grund­le­gen­den Pro­ble­me nicht dis­ku­tiert und er­läu­tert wer­den; statt­des­sen ver­kauft man lie­ber ein Lo­kal-An­äs­the­ti­kum, das einem Glau­ben macht, daß nach Durch­lau­fen eines Tu­to­ri­als zu den Ein­stel­lun­gen zur Pri­vat­sphä­re alles nicht mehr so schlimm ist. Die drei Kam­pa­gnen-Fil­me pas­sen mit ihren doch recht ein­drück­li­chen Bot­schaf­ten schon fast nicht mehr ins Ge­samt­bild.

Das ganze er­inn­tert mich schmerz­haft an die "Rauch­frei-Kam­pa­gne" gegen das Rau­chen bei Ju­gend­li­chen - die dann von der Ta­bak­in­dus­trie ge­spons­ort und durch­ge­führt wurde.

Et­li­che Fea­tures der Seite sind wohl an Zy­nis­mus kaum zu über­bie­ten. So wird ver­meint­lich vor den Ri­si­ken von so­zia­len Net­zen ge­warnt, an­de­rer­seits kann man der Kam­pa­gne auf Twit­ter fol­gen. Die Seite pro­kla­miert, nicht jedem x-be­lie­bi­gen An­ony­men im Netz zu trau­en und ihn un­kri­tisch in seine Freun­de-Lis­te auf­zu­neh­men - und in einem Be­richt im Nacht­ma­ga­zin er­fährt man, daß "Web­man" auf Stu­di­VZ be­reits über 3.000 Freun­de hat.

Das Sah­ne­häub­chen ist aber tat­säch­lich die Pinn­wand: Nicht nur, daß in der ur­sprüng­li­chen Soft­ware­fas­sung das Log­in-Pass­wort im Klar­text ver­schickt wurde. Ich frage mich ernst­haft, wieso über­haupt eine Re­gis­trie­rung mit Nick­na­me und E-Mail-Adres­se bei der Seite er­for­der­lich ist! Es gibt außer der Pinn­wand kei­ner­lei in­ter­ak­ti­ve Fea­tures; und um Spam in der Pinn­wand zu ver­mei­den, hätte es eine da­ten­spar­sa­me­re Lö­sung wie der Ein­satz von Capt­chas ge­nau­so getan.

Ich muß also wirk­lich den Kopf schüt­teln. Die Bun­des­ver­brau­cher­mi­nis­te­rin Ilse Ai­gner mein­te bei der Vor­stel­lung der Kam­pa­gne auf der Pres­se­kon­fe­renz:

"Im In­ter­net bleibt eben nichts pri­vat. Wer im In­ter­net ja­mand ein Ge­heim­nis an­ver­traut, kann es auch gleich ans schwar­ze Brett in der Schu­le stel­len."

Daß das so ge­ne­rell Un­sinn ist, soll­te jeder er­fah­re­ne (und in der The­ma­tik sen­si­bi­li­sier­te) Netz­nut­zer wis­sen; ich hätte mir er­hofft, daß eine sol­che Auf­klä­rungs­sei­te unter an­de­rem genau so etwas er­läu­tert. Statt­des­sen la­viert sich die Web­sei­te an den ei­gent­lich kri­ti­schen Fra­gen höchst un­kri­tisch vor­bei. Scha­de.

(via De­sign­ta­ge­buch)