“Ambient Assisted Living” und die Privatsphäre

Ein Ar­ti­kel bei Heise stellt die Er­geb­nis­se einer Stu­die zum "Am­bi­ent As­sis­ted Li­ving" für Se­nio­ren vor; der Vor­stel­lung der For­scher nach soll es durch Com­pu­ter­un­ter­stüt­zung im häus­li­chen Be­reich Se­nio­ren län­ger mög­lich sein, ei­gen­stän­dig zu leben bzw. frem­de Hilfe zu re­du­zie­ren. Ins­be­son­de­re das Mo­ni­to­ring von Vi­tal­funk­tio­nen war bei der Um­fra­ge ein Thema. Er­geb­nis der Um­fra­ge:

"In der Um­fra­ge spiel­ten Pro­ble­me der Pri­vat­sphä­re keine Rolle; Am­bi­ent As­sis­ted Li­ving und vor allem Te­le-Mo­ni­to­ring grei­fen aber durch die stän­di­ge Über­wa­chung stark in die Pri­vat­sphä­re der damit be­treu­ten Men­schen ein."

Unter den über 65 Jahre alten Be­frag­ten wür­den 58% im Be­darfs­fall Alarm­sys­te­me wie Sturz­sen­so­ren, Atem­still­stands- oder Herz­fre­quenz­mes­ser ein­set­zen; 54% könn­ten sich mit Er­in­ne­rungs­funk­tio­nen zur Me­di­ka­men­ten­ein­nah­me an­freun­den; und 53% wür­den eine dau­er­haf­te Über­wa­chung ihrer Kör­per­funk­tio­nen in Be­tracht zie­hen.

Ist den Leu­ten ihre Pri­vat­sphä­re egal? Mei­ner Mei­nung nach er­kennt man an den Um­fra­ge­er­geb­nis­sen zwei As­pek­te:

Zum einen die sub­jek­ti­ve Wahr­neh­mung der Über­wa­chung. Der Be­griff "Alarm­sys­tem" ist hin­rei­chend abs­trakt, der Nut­zen scheint groß, denn die Si­tua­tio­nen, in denen ein Alarm aus­ge­löst würde, ist in den oben ge­nann­ten Fäl­len le­bens­be­droh­lich.
An­ders sieht es bei der Er­in­ne­rungs­funk­ti­on aus: Ob­wohl hier keine Über­wa­chung durch Drit­te statt­fin­det (eine sol­che Er­in­ne­rung be­nö­tigt keine Da­ten­ver­bin­dung zum Arzt), wür­den we­ni­ger Leute eine sol­che Tech­nik ak­zep­tie­ren. Sie ist auf­dring­li­cher, die Leute füh­len sich da­durch eher ge­gän­gelt als un­ter­stützt.

Der an­de­re As­pekt ist die Art der Kom­mu­ni­ka­ti­on: die Mo­ni­tor­sys­te­me über­tra­gen nur dann Daten, wenn ein Not­fall ein­tritt. Das Er­in­ne­rungs­sys­tem würde (nach­dem es ein­mal vom Arzt ein­ge­rich­tet wurde) al­len­falls dann Ver­bin­dung zum Arzt auf­neh­men, wenn wich­ti­ge Me­di­ka­men­te über einen län­ge­ren Zeit­raum nicht ein­ge­nom­men wür­den - wenn über­haupt. Die stän­di­ge, an­la­ß­un­ab­hän­gi­ge Über­wa­chung lan­det auf dem letz­ten Platz. Mich er­staunt trotz­dem die re­la­tiv hohe Zahl; mög­li­cher­wei­se ist bei den Be­frag­ten das Ver­trau­en in ihren Arzt (zu­sam­men mit der An­nah­me, daß auch tat­säch­lich nur die­ser die Daten er­hält) so groß. Ich bin mir ziem­lich si­cher, daß der Ak­zep­tanz­wert an­ders aus­se­hen würde, wenn man auch jün­ge­re mit in die Um­fra­ge mit ein­be­zo­gen hätte.

Daß das Thema in der Zu­kunft al­lein schon wegen der de­mo­gra­phi­schen Ent­wick­lung in­ter­es­san­ter wird, ist ab­zu­se­hen - im­mer­hin läßt sich da auch ein Ge­schäft ma­chen. Re­ak­ti­ve Mo­ni­tor­sys­te­me kön­nen unter Um­stän­den tat­säch­lich die Le­bens­qua­li­tät ver­bes­sern - im­mer­hin ver­mit­teln die Sys­te­me auch die Si­cher­heit, daß im Falle eines Fal­les Hilfe zur Stel­le eilen wird.
Für eine pro­ak­ti­ve Über­wa­chung mit Da­ten­über­mitt­lung und -spei­che­rung rund um die Uhr sehe ich hin­ge­gen kei­nen Ein­satz­zweck; für Per­so­nen ohne ent­spre­chen­des Ri­si­ko­pro­fil ist das wohl Over­kill und ein star­ker Ein­schnitt in die Pri­vat­sphä­re. Für Leute, bei denen so etwas krank­heits­be­dingt not­wen­dig ist, wird hin­ge­gen ein sol­ches Mo­ni­to­ring al­lei­ne nicht aus­rei­chen - eine ge­eig­ne­te Wohn­um­ge­bung in z.B. einem Se­nio­ren­wohn­heim (oder gar einer Kli­nik?) dürf­te da die bes­se­re Lö­sung sein.