Netzfilter gegen Kinderpornos - ein Roundup

Das Thema gärt be­reits seit Ende letz­tem No­vem­ber - hier for­der­te Fa­mi­li­en­mi­nis­te­rin Ur­su­la von der Leyen ein ri­go­ro­ses Vor­ge­hen gegen Kin­der­por­no­gra­phie mit Hilfe von Netz­sper­ren: "Ich bin fest ent­schlos­sen und von die­ser Bahn bringt mich auch kei­ner mehr ab". Ihre Mei­nung sorg­te für stark ge­spal­te­nes Echo (auch im ei­ge­nen Lager), und da ihr Ziel of­fen­sicht­lich nicht so schnell zu er­rei­chen war, wie sie ur­sprüng­lich ge­plant hatte, schlug sie einen zwei­ten Weg ein: Die gro­ßen Pro­vi­der soll­ten dazu ge­bracht wer­den, einen Ver­trag zur Um­set­zung von Sperr­lis­ten zu un­ter­zeich­nen - so soll­te der Weg über die Ver­ab­schie­dung eines Ge­set­zes ab­ge­kürzt wer­den. Ein Ak­tio­nis­mus, der all­ge­mein auf Un­ver­ständ­nis stieß.

Die­ser Ver­trag wurde vom CCC ver­öf­fent­licht - die darin vor­ge­se­he­ne Sper­rung soll prin­zi­pi­ell so ab­lau­fen, wie man es auch per Ge­setz ver­an­kern woll­te: Das BKA über­gibt den ISPs eine Liste mit Do­mä­nen­na­men ("voll­qua­li­fi­ziert", also keine Wild­cards) - der ISP habe dann die Pflicht, in­ner­halb von 6 Stun­den den Zu­gang zu sper­ren. Die Sper­run­gen sind aus­nahms­los und voll­stän­dig um­zu­set­zen, der ISP ist nur Aus­füh­ren­der (Den­ken ist nicht ge­stat­tet). Na­tür­lich darf die Sperr­lis­te nicht an die Öf­fent­lich­keit ge­lan­gen.

Die Be­den­ken gegen ein sol­ches Vor­ge­hen sind viel­fäl­tig: Zu al­ler­erst steht da die ein­fa­che Um­geh­bar­keit der Sper­ren: Wird auf DNS-Ba­sis ge­sperrt (eine DNS-An­fra­ge einer ge­sperr­ten Do­main er­gibt die IP-Adres­se eines Rech­ners, der eine Sperr­sei­te an­zeigt), so ge­nügt es, einen un­zen­sier­ten DNS-Ser­ver zu ver­wen­den. Sperrt man auf IP-Ba­sis, so sperrt man u.U. viele wei­te­re Web­sei­ten, die als Vir­tu­al Hosts vom sel­ben Web­ser­ver be­dient wer­den; dar­über­hin­aus ist eine sol­che Sper­re mit Hilfe von IP-Tun­neln (ent­we­der via TOR, einem of­fe­nen HTTP-Pro­xy oder durch An­mie­ten eines Ser­vers in einem nicht zen­sie­ren­den Land) sehr leicht zu um­ge­hen.

Un­be­ant­wor­te­te Fra­gen sind auch die nach der miß­bräuch­li­chen Nut­zung sol­cher Sperr­lis­ten. Sehr ein­fach sind damit Kri­ti­ker die­ser Sperr­lis­ten im In­ter­net mund­tot zu ma­chen; die wei­te­ren üb­li­chen Ver­däch­ti­gen, gegen die man vor­ge­hen kann (nach­dem man ja das Werk­zeug schon ein­mal hat), sind dann üb­li­cher­wei­se Or­ga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät, Ter­ro­ris­mus (Stich­wort Bom­ben­bau­an­lei­tun­gen) und Rechts­ra­di­ka­lis­mus. Da­nach fol­gen be­lie­bi­ge Lob­by-In­ter­es­sen.
Von der Leyen wirft die­sen Leu­ten Pa­ra­noia und Stim­mungs­ma­che vor - den­noch dau­er­te es in der Bun­des­tags­an­hö­rung zu den Netz­sper­ren keine 12 Mi­nu­ten, bis das Wort "Ur­he­ber­recht" fiel; ein Schelm, der Arges dabei denkt.
Wei­te­re In­di­zi­en, die das von der Leyen'sche Un­ter­fan­gen ziem­lich fa­den­schei­nig da­ste­hen las­sen, fin­det man in die­sem Ra­dio­in­ter­view mit einer Ver­tre­te­rin von ECPAT und Frank Rie­ger vom CCC. Als leuch­ten­des Bei­spiel für die her­vor­ra­gen­de Funk­ti­on sol­cher Netz­sper­ren wer­den immer di­ver­se skan­di­na­vi­sche Län­der an­ge­führt. Eine Be­schlag­nah­mung der ent­spre­chen­den Ser­ver wäre je­doch be­deu­tend ef­fi­zi­en­ter: Zum einen in An­be­tracht der leich­ten Um­geh­bar­keit der Netz­sper­ren, zum an­de­ren wären so Er­mitt­lun­gen gegen die Hin­ter­män­ner (den ei­gent­li­chen Ver­bre­chern) sowie eine Ver­fol­gung des Geld­flus­ses mög­lich. Dazu müßte man je­doch an die Ser­ver her­an­kom­men - be­trach­tet man je­doch bei­spiels­wei­se die schwe­di­sche Fil­ter­lis­te (im In­ter­view ab 4:08), so stellt man drei Dinge fest: Es be­fin­den sich 96% der Ser­ver auf der Liste in west­li­chen Län­dern (mit ent­spre­chen­den Rechts­ab­kom­men!), sie wären also greif­bar; die Liste ist nicht ak­tu­ell (ei­ni­ge Do­mä­nen sind tot bzw. ste­hen zum Ver­kauf); und nur ein sehr klei­ner Pro­zent­satz ent­hält tat­säch­lich kin­der­por­no­gra­phi­sches Ma­te­ri­al.
Daß es in den skan­di­na­vi­schen Län­dern be­reits Fälle von Miß­brauch der Sperr­lis­te gab, be­rich­tet Frank Rie­ger ab 7:43: Es lan­de­ten Blogs auf der Sperr­lis­te, die über die Tech­nik und Um­ge­hungs­mög­lich­kei­ten der Fil­ter­vor­rich­tung be­rich­te­ten. Das hat nichts mehr mit dem Ver­hin­dern von "Schwerst­kri­mi­na­li­tät" zu tun, son­dern mit dem Mund­tot­ma­chen von Kri­ti­kern. Somit ist man end­gül­tig bei der Zen­sur an­ge­langt.
Das in dem Ver­trag vor­ge­schla­ge­ne Pro­ce­de­re läßt üb­ri­gens die Be­trof­fe­nen voll­kom­men außen vor: Die Do­mä­nen­in­ha­ber wer­den nicht be­nach­rich­tigt, eine Mög­lich­keit des Wi­der­spruchs gegen fälsch­lich ge­mach­te Ein­trä­ge gibt es nicht. Das Pro­ce­de­re der Ent­ste­hung sol­cher Ein­trä­ge bleibt eine "black box" in der Hand des BKA. Wie wird das wohl sein, wenn sich je­mand un­schul­dig auf die­ser Liste wie­der­fin­det? "Je­mand mußte Josef K. ver­leum­det haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Mor­gens ver­haf­tet." De­nun­zi­an­ten an die Front, bitte.

Bleibt zu­letzt noch die Frage auf die Im­pli­ka­tio­nen auf die Grund­rech­te. Hier fin­den sich di­ver­se Sku­ri­li­tä­ten - bei­spiels­wei­se die Ar­gu­men­ta­ti­on, daß die Sper­rung einer Seite kein Ein­griff ins Fern­mel­de­ge­heim­nis dar­stellt: "Ein Ein­griff in das Fern­mel­de­ge­heim­nis liegt nur dann vor, wenn sich staat­li­che Stel­len ohne Zu­stim­mung der Be­tei­lig­ten Kennt­nis von dem In­halt oder den Um­stän­den eines fern­mel­de­tech­nisch ver­mit­tel­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­vor­gangs ver­schaf­fen" - al­lein die Tat­sa­che, daß ja eine URL wei­te­re In­for­ma­tio­nen ent­hal­ten kann (Pfad, Da­tei­na­me), dürf­te diese Aus­sa­ge ad ab­sur­dum füh­ren.
Ar­ti­kel 5 des Grund­ge­set­zes ga­ran­tiert die freie Mei­nungs­äu­ße­rung sowie den un­ge­hin­der­ten Zu­gang zu frei zu­gäng­li­chen Quel­len, so­fern damit keine Vor­schrif­ten oder Ge­set­ze über­tre­ten wer­den. Das be­deu­tet, daß DNS-Sper­ren in fast allen Fäl­len nicht fein­gra­nu­lar genug sind: So­bald auf einer Web­sei­te auch noch nicht-il­le­ga­les Ma­te­ri­al vor­han­den ist, dürf­te die­ses Recht ver­letzt sein. Auch in Ver­bin­dung mit den oben an­ge­stell­ten Be­ob­ach­tun­gen bei den skan­di­na­vi­schen Fil­ter­lis­ten (ver­al­tet, viele le­ga­le - wenn auch schmud­de­li­ge - In­hal­te ge­sperrt) steht das Vor­ge­hen in kei­nem guten Licht.

Alles in allem finde ich das Vor­ge­hen mehr als fa­den­schei­nig. Wer wirk­lich etwas gegen KiPo tun will (und das soll­te Frau von der Leyen, da stim­me ich ihr voll­kom­men zu), muß das Pro­blem mög­lichst nahe der Wur­zel pa­cken, und nicht Kos­me­tik an den Sym­pto­men be­trei­ben. Vor allem, wenn die Kos­me­tik höchst ge­fähr­li­che Ne­ben­ef­fek­te hat - die Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker wer­den "aber ge­wünsch­te" er­gän­zen wol­len. Eine Zen­sur-In­fra­struk­tur darf es in einem Land wie Deutsch­land nicht geben. Soll­te das Ge­setz doch noch zu­stan­de­kom­men, wird Karls­ru­he ein­mal mehr Ar­beit be­kom­men.