Welttag des geistigen Eigentums

...​war ges­tern. Am Tag zuvor hat­ten rund 200 Künst­ler in einem of­fe­nen Brief (pdf hier) von un­se­rer Bun­des­kanz­le­rin ge­for­dert, das Thema zur Chef­sa­che zu ma­chen. Alle Jahre wie­der jam­mert die Mu­sik­in­dus­trie, wie un­glaub­lich schlecht es ihr geht und pro­gnos­ti­ziert den von den Raub­ko­pie­rern her­bei­ge­führ­ten Un­ter­gang des Abend­lan­des.

In dem Brief fin­det man eine Reihe sehr dif­fu­ser For­mu­lie­run­gen:
"So wur­den al­lein im ver­gan­ge­nen Jahr in Deutsch­land über 300 Mil­lio­nen Mu­sik­stü­cke il­le­gal aus dem In­ter­net her­un­ter­ge­la­den." - ich frage mich, woher die Zahl stammt; ob hier ähn­lich gro­ßzü­gig wie noch vor fünf Jah­ren bei den ge­brann­ten CDs ge­schätzt wird? Da­mals hatte die Mu­sik­in­dus­trie die Zahl der ver­kauf­ten Roh­lin­ge mit der Zahl ko­pier­ter CDs 1:1 ge­setzt...

"Als ein­zi­ger Weg, sich zur Wehr zu set­zen, bleibt Künst­lern, Krea­ti­ven und den be­tei­lig­ten In­dus­tri­en bis­her nur die Mög­lich­keit, gegen die An­bie­ter il­le­ga­ler Pro­duk­te ju­ris­tisch vor­zu­ge­hen." - ...​was in einem Rechts­staat voll­kom­men kor­rekt und die ein­zi­ge Mög­lich­keit ist.

"Ohne Musik und Hör­bü­cher bräuch­ten wir keine iPods, ohne Filme keine Flach­bild­fern­se­her, ohne Breit­band­in­hal­te keine schnel­len In­ter­net­zu­gän­ge." - dem stim­me ich zu; was die Con­tent-In­dus­trie hier nur ver­schweigt: Es gibt durch­aus wei­te­re Ver­triebs­we­ge für sol­che In­hal­te, die ihre Pro­duk­te ohne die La­bels ver­mark­ten. Aber das ist wohl eine Wahr­heit, wel­che die Con­tent­ma­fia nicht wahr­ha­ben will...

Das schö­ne an sol­chen Ak­tio­nen, wenn sie nur groß genug (in die­sem Fall: Ver­öf­fent­li­chung in ver­schie­de­nen Ta­ges­zei­tun­gen; das ging si­cher rich­tig ins Geld, so arm kön­nen die Künst­ler wohl noch nicht sein...) auf­ge­zo­gen wer­den: Ir­gend­ein Po­li­ti­ker mit Pro­fi­lie­rungs­nö­ten plap­pert das Vor­ge­ge­be­ne brav nach - in die­sem Fall Kul­tur­staats­mi­nis­ter Neu­mann. Der ver­kün­det laut­stark, daß Kul­tur ist kein all­ge­mein ver­füg­ba­res und kos­ten­lo­ses Gut sei - man hat den star­ken Ein­druck, daß die­ser Mann im Ge­schichts­un­ter­richt ge­fehlt hat.

Was sich die Con­tent­in­dus­trie an wei­te­ren "Ver­bes­se­run­gen" wünscht, kann man in die­sem In­ter­view der Sen­dung "Neues..." hören. Die letz­te No­vel­le des Ur­he­ber­rechts sieht vor, daß die Con­tent­in­dus­trie den In­ha­ber zu einer IP-Adres­se über eine rich­ter­li­che An­fra­ge er­fra­gen darf (an­statt wie bis­her den Umweg über Straf­an­zei­ge und an­schlie­ßen­de Ak­ten­ein­sicht zu gehen). Die­ser rich­ter­li­che Vor­be­halt ist für Mas­sen­ab­mah­nun­gen na­tür­lich ähn­lich hin­der­lich wie das bis­he­ri­ge Pro­ce­de­re; kein Wun­der, daß dies den selbst­er­nann­ten Ver­fol­gern von Ur­he­ber­rechts­ver­let­zun­gen ein Dorn im Auge ist. Die Ar­gu­men­ta­ti­on im In­ter­view der Sen­dung ist je­doch schon fast des Faust'schen Me­phis­to­phe­les wür­dig:

Ste­fan Mi­ch­alk, Ver­bands­ver­tre­ter des Bun­des­ver­ban­des der Mu­sik­in­dus­trie: "Wir wür­den gern di­rekt beim Pro­vi­der nach­fra­gen kön­nen, weil durch den Rich­ter­vor­be­halt auf die­je­ni­gen, die ei­gent­lich die Ge­schä­dig­ten sind, er­heb­li­che Kos­ten zu­kom­men, weil man wenn man näm­lich dort quasi den Rich­ter be­müht erst­mal einen Ge­richts­kos­ten­vor­schuß zah­len muß von 200 Euro, und aus un­se­rer Sicht ist es schwer nach­voll­zieh­bar, daß die­je­ni­gen, die oh­ne­hin schon den Scha­den haben, auch noch die Kos­ten über­neh­men müs­sen."

Die An­fra­ge beim Rich­ter kos­tet Geld, und na­tür­lich wird man sich die­ses Geld beim Be­klag­ten wie­der­ho­len. Aber da die Ur­he­ber­rechts­ver­fol­ger ja per De­fi­ni­ti­on immer recht haben, kann man durch Ab­schaf­fung die­ser Re­ge­lung den Ur­he­ber­rechts­ver­let­zern Kos­ten er­spa­ren. Ganz er­staun­lich, die­ses plötz­li­che Mit­ge­fühl mit den "Ver­bre­chern"...

Die wei­te­ren For­de­run­gen der Rech­te­ver­wer­ter sind noch haar­sträu­ben­der: Die Pro­vi­der sol­len stets ein Ohr am Da­ten­strom haben und bei Ur­he­ber­rechts­ver­let­zun­gen den In­ter­net­zu­gang sper­ren. Gegen das "stete Ohr" ist die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung ja harm­los, dies wäre die Voll­über­wa­chung des Netz­ver­kehrs - ju­ris­tisch wie tech­nisch nicht mach­bar. Und die Sper­rung des In­ter­net­an­schlus­ses als so­for­ti­ge Stra­fe für Ur­he­ber­rechts­ver­let­zer ist eine un­glaub­lich merk­be­frei­te Idee; mit der­sel­ben Ar­gu­men­ta­ti­on müßte man CDs tau­schen­den Schü­lern den Schul­bus ver­bie­ten oder über ihre Chefs schimp­fen­den An­ge­stell­ten den Te­le­fon­an­schluß ab­klem­men. Daß das In­ter­net nur ein wert­neu­tra­les Kom­mu­ni­ka­ti­ons­me­di­um und Trans­port­ve­hi­ku­lum ist, haben die Leute immer noch nicht ka­piert.

Das, was den Rech­te­ver­wer­tern und La­bels tat­säch­lich hel­fen würde, wäre ein ehr­li­cher Blick in den Spie­gel - auch, wenn das, was sie dort sehen, ihnen nicht ge­fal­len wird. Wie der Wer­be­b­log­ger so schön schreibt, fehlt es nicht an man­geln­den Schutz­rech­ten oder Ein­griffs­mög­lich­kei­ten: Was fehlt, sind Ge­schäfts­mo­del­le aus dem Um­feld der Di­no­sau­ri­er in einem Markt, der schon längst selbst auf die gro­ßen Tiere ver­zich­ten kann.

Die La­bels haben die Zeit ver­schla­fen und müs­sen nun fest­stel­len, daß sich auch mit viel ju­ris­ti­scher Ge­walt ein an­ti­quier­tes Ge­schäfts­mo­dell nicht mehr ret­ten läßt; die jun­gen Künst­ler haben an­de­re Wege der Ver­mark­tung ge­fun­den - Wege, wel­che den Di­no­sau­ri­er "Mu­sik­la­bel" über­flüs­sig macht. Dem ist nichts wei­ter hin­zu­zu­fü­gen.