Filtersoftware in Schulen - “Schulfilter plus” listet auch diese Seite

Mir ist ja gestern schier der Kiefer gen Keller gesackt, als ich gelesen habe, daß ein Filtersystem für Schulen netzpolitik.org blockiert. Das Filtersystem, das hier zum Einsatz kam, nennt sich Schulfilter plus von "Time for Kids", und rühmt sich, die "weltweit größte und aktuellste URL-Datenbank" zu führen. Um sich von der Qualität zu überzeugen, kann man dort URLs testen, und ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, ob ich dort auch bereits gelistet bin - hier das Ergebnis:

Time for Kids URL test

Neugierig geworden habe ich einen kurzen Blick in die Dokumentation geworfen - der Vorwurf der Zensur ist schnell bei der Hand, jedoch wollte ich dem Produkt eine Chance geben (oder qualifiziert lästern können ;-).

Filterfunktionen

Der Filter erlaubt die Konfiguration verschiedener Filter-Presets, die entweder vom Lehrer je nach Fach oder aber zeitgesteuert (z.B. "Pausenschaltung") aktiviert werden können. Der Hersteller bietet dazu ca. 70 Kategorien an, die aktiviert oder deaktiviert werden können. Zusätzlich kann eingestellt werden, ob unbekannte Webseiten erlaubt oder gesperrt werden sollen. Detailliertere Infos gibt es natürlich in den Handbüchern, einen guten Eindruck liefert aber ein Screenshot des Admin-Interfaces:

Schulfilter Adminscreen

Neben dem reinen IP- und URL-Filter bietet die Software noch Heuristiken zur Klassifizierung (beispielsweise durch Textanalyse oder der Erkennung von doppeltem oder ähnlichem Content). Außerdem gibt es noch die Möglichkeit, individuelle Sperren und Freigaben einzurichten.

Kritik

Die vorgegebenen Kategorien empfinde ich als eher unglücklich gewählt: Die meisten beziehen sich auf Sachthemen (IT-Sicherheit, Fahrzeuge, Jobsuche, etc.), daneben gibt es aber Kategorien, die eher die Bedienweise und Interaktivität der Seite charakterisieren (Blog, Forum, etc.). Das ganze ist bunt durcheinander gemischt. Weiterhin finden sich sowohl "negative Kategorien" (Malware, Hacking, illegale Drogen, etc.) und "positive Kategorien" (IT-Sicherheit, Umwelt, Haustiere) in der selben Liste; manche Begriffe sind so gewählt, daß die Unterscheidung nach "tendentiell harmlos" und "tendentiell böse" nur schwer möglich und bei verschiedenen Leuten sicher nicht konsistent ist. Verwirrung und Verwechslung ist hier vorprogrammiert.
Desweiteren konnte ich aus dem Handbuch nicht herauslesen, wie widersprüchliche Filterangaben aufgelöst werden: netzpolitik.org ist beispielsweise in den Kategorien "IT-Sicherheit " und "Blogs" gelistet; was geschieht, wenn in der Konfiguration Seiten zur IT-Sicherheit erlaubt, Blogs aber gesperrt wurden?
Ansonsten kann ich das Anliegen der Schulen nachvollziehen: Die Lehrer haben während der Schulzeit die Aufsichtspflicht und einen Erziehungsauftrag - und ich kann mir lebhaft vorstellen, daß ein Computerraum mit 30 Kindern schwerer zu hüten ist als ein Sack Flöhe. Wenn man sich beispielsweise den aktuellen Wahnsinn um Störerhaftung und WLANs vor Augen hält, kann man sich leicht vorstellen, daß ein Schulleiter Angst vor der anwaltlichen Keule mancher Eltern hat, die mitbekommen, daß ihr Sprößling während des Unterrichts auf pr0n-Suche im Netz gegangen ist. Hat jedoch eine Schule eine solche Filtersoftware mit professionell gewarteten Listen, hat sie im Falle eines Falles vor Gericht das gute Argument, daß sie nach Kräften versucht hat, ihren Pflichten nachzukommen.
Die resultierende Gefahr ist jedoch, daß man dem Trugschluß erliegen könnte, alle Probleme mit einer handvoll Mausklicks loszuwerden: Filterlisten sind unvollständig und fehlerhaft, und eine einmal erstellte Klassifizierung kann jederzeit (beispielsweise beim Wechsel des Domäneninhabers, oder im Falle einer "gehackten" Website, die plötzlich ganz andere Inhalte zeigt) ungültig werden. Den Beweis hierfür haben (unfreiwillig) bereits die Sperrlisten gegen Kinderpornos erbracht. Und ein weiteres Indiz für eine mangelhafte Klassifizierung habe ich eben entdeckt: Fefes Blog wird da als "Blog" und "persönliche Webseite" bestimmt - vielleicht nicht falsch, aber doch reichlich unspezifisch.

Mein Fazit

...zumindest aufgrund dieses ersten Eindrucks: Als "böse" möchte ich den "Schulfilter Plus" nicht bezeichnen. Bitte nicht falsch verstehen: Ich bin absolut kein Freund von Sperren und Reglementierungen des Netzes. Aber die zuvor geschilderten Pflichten, Ängste und Probleme der Lehrer kann ich auch nachvollziehen - und persönlich finde ich es besser, wenn Schüler in ihrer Pausenzeit Zugang zu einem vorgefilterten Netz haben, als überhaupt keinen Netzzugang.
Und weshalb war nun bei TheKake netzpolitik.org gesperrt? Möglicherweise wegen einem Mißverständnis der Kategorienbedeutung. Wahrscheinlicher halte ich aber ein übertriebenes Mißtrauen (sprich: zu rigide Sperren) seitens der Lehrer. Das ist dann aber weniger ein Problem der Software, sondern derer, die sie zum Einsatz bringen: Ein Stück Software kann keine sozialen Probleme lösen - und insbesondere zählt dazu Vertrauen (und dessen Mißbrauch).

In meiner Klasse wurde mitunter unter der Bank gelesen oder Schach gespielt, und in den Pausen steckten einige Leute ihre Nase in Heftchen, die nicht ganz ihrer Altersklasse entsprachen. Wer erwischt wurde, wurde - je nach Schwere - ermahnt, vor die Tür gestellt, zum Nachsitzen einbestellt. Das Schulnetz pauschal und restriktiv zu filtern ist fast das Analogon dazu, jeden Schüler beim Betreten der Schule zu durchsuchen (um sicherzustellen, daß keine ablenkenden Gegenstände aufs Schulgelände gelangen)... ist es nicht möglich, im Unterricht das Vertrauen aufzubringen, daß Schüler ihren Aufgaben nachgehen - und erst zwangsgefiltert werden, wenn sie beim "Surfen abseits des Unterrichtsstoffs" erwischt werden?